Ähnlich wie der frisch begonnene Zara Sale ist so ein Festival vor allem eins: Ausnahmezustand.
Mit vielen verrückten auf einem Haufen.
Da ich mich schon ohne nennenswerte Verletzungen dafür aber mit finanziellem Ruin durch den ein oder anderen spanischen Schlußverkauf geschlagen habe, war ich recht optimistisch als ich mir das Curt Magazin, der Kurt Cobain unter den Stadtmagazinen – da ähnlich rockig und versoffen cool, mir Hurricane Tickets sponserte.
Mit zwei Paletten Dosenbier, einem Blumenkranz und einem Discounter Zelt trat ich also den Weg nach Scheeßel, zum Hurricane Festival 2014, an.

FREITAG, HURRICANE TAG 1
Mein Eigenheim steht – dafür brauchte ich nicht mal ’nen Bausparer sondern 4 Schnäpse und zwei Anläufe.
Meine Nachbarschaft ist ähnlich trinkfreudig und asozial wie ich es aus meinem Mietshaus in Nürnberg- Langwasser kenne. Na dann, Prost!
Bevor ich jedoch zum Bierbong trinken genötigt werde schleiche ich mich auf das staubige Festivalgelände.
Mein Tetrapack- Panzertape Wegbier, die Chaneltasche unter uns Festivalgängern, wird mir natürlich erst mal abgezwackt. Gierig wie ich bin entschied ich mich natürlich für die 1,5 l Version – Anfängerfehler.
Sparsam wie ein Schwabe, überlasse ich natürlich dem Tertrapack nicht der Tonne – sondern kipp mir erstmal alles hinter die Birne. Noch so ein Anfängerfehler. Zumindest bin ich schon mal zum pogen für The Subways warmgetrunken. Und mit ein, zwei weitern Bier auch bereit zum grölen bei Flogging Molly.
Ein bisschen Schmusen beim Genuschel von Angus und Julia Stone ist vorher auch noch drin.
Und dann kommt ja auch schon Egotronic mit viel Geschrei und ein paar linken Parolen um’s Eck.
Ein bisschen vom The Kooks gedüdel kann ich auch noch einfangen als ich mir meine chinesischen Nudeln – und klar, zwei Bier- reinhau.

Um das ganze nicht in Freizeitstreß ausarten zu lassen – stelle ich mich brav an der langen H&M <3 Music Schlange an. Schließlich gibt’s da was für lau. Und Bier!
Und tatsächlich, als ich nach 50 min. oben in der Bastelstube ankomme werden mir haufenweise Give- aways in die Hand gedrückt. Drölf Regencapes, ein Wollmützchen (hups.Ist nicht Juni? Gibts bei 18 Grad hier oben im Flachland nicht schon hitzefrei?) ein T-Shirt und sogar einen Jutebeutel darf ich mir bemalen.

WOW! Das Bloggerherz in meiner Brust ist kurz vorm zerspringen. Noch ein paar Cakepops und ich hätte endlich mal ein anständiges instagram Bild beinander. #ilovemygeschenkefürlau

Mit meinem verunstalteten Turnbeutel stolpere ich zur Blue Stage und somit zum Kasperl Theater.
Hebe den Altersdurchschnitt zwar enorm an, sehe aber, ganz in alter Mentaltrainer Manie, natürlich sofort das positive an den vielen Minderjährigen im Publikum.
Am Cocktailstand herrscht gähnende Leere und mit meinen 1.76m habe ich freien Blick auf die Bühne.
Und dann hopst der Casper auch schon auf die Bühne. Und hopsasaa… haut richtig auf die Kacke. Ein Gassenhauer nach dem anderen zu dem die kreischende Menge mit den Füßen stampft und den ganzen Dreck aufwirbelt. Dazu grölt er „Tanz im Ascheregen“ und vielleicht weil es plötzlich so authentisch ist, (für Sandregen hätte es die volle Punkzahl gegeben, aber ist ja schon mal nah dran!) vielleicht weil er sich aber auch immer so dolle freut wenn er ins Publikum guckt – die Headliner auf der Green Stage nebenan sehen ganz schön alt aus. ( Die handvoll Publikum die Arcade Fire dabei zujubelt im übrigen auch!)
Fühle mich ganz schön überlegen als ich dann auch noch diesen Thees Uhlmann auf der Bühne erkenne.
Die Stimmung ist gut, auch wenn ich „Weißt du was du mir bedeutest“ nicht mehr ganz fehlerfrei mitsingen kann. Die Zunge ist aber auch schon schwer.
Als die Reibeisen Stimme dann auch noch die 60.000 Fans animiert sein Hinterland mitzujohlen und ein paar Raketen raushaut wird mir ganz warm ums Herz – beim Feuerwerk muss ich mir glatt ein paar Tränchen rausquetschen die den ganzen Staub von meinem Gesicht waschen.
Mein premenstruales Geheule klingt jedoch bis zum nächsten Akt wieder ab –  Macklemore lässt sich schließlich auch genügend Zeit bis er endlich mal auf die Bühne kommt.
Seine Lady Gaga Show – viel Glitzer, noch mehr Kostüme – erinnert dann auch ein wenig an einen schlechten One Night Stand: zu kurz, zu aufgesetzt, zu laut. Aber Partytauglich eben.
Wird jetzt auch Zeit für’s Bett.

SAMSTAG, HURRICANE TAG 2

Guten Morgen Sonnenschein! Tag zwei beginne ich stilecht: Mit einem monströsen Kater und zwei Paracetamol die ich mit einer „Frühstücks Hülse“ mal schnell runterspüle.
Für’s Morgen Work Out bot sich die Fahrrad Disco an. Musik oder abgekupferte Julia Engelmann Poetry wurden nur über Boxen ausgespuckt wenn sich 5 Deppen fanden die vor der Bühne fleißig in die Pedale eines Heimtrainers hauten.
Beim Lidl Rock Shop (geiles Ding!) gab es dann nicht nur das passende Frühstück nach so viel sportlicher Anstrengung (Bier.) sondern auch einen Security fachgerechten Tetrapack mit nur einem Liter Fassungsvermögen.
Ich stelle fest: auf dem Campinggelände kann man sich prima die Zeit vertreiben.
Schon alleins ein akzeptables Klo zu finden ist zeitaufwendig und nervenaufreibend.
Ich erfreue mich an meinem neuen Trinkspiel – ein Schnäppschen für jeden Dödel der über mein Zelt stolpert. Den größten Spaß habe ich jedoch dabei über den Zeltplatz zu hechten, mit einem Stock rumzuwuchteln und dabei „Experliamus“ zu brüllen. Als ich auch noch „Morsmordre“ gen Himmel rufe und tatsächlich schwarze Wolken aufziehen bekomme ich es ein wenig mit der Angst zutun.
Ich hab zuviel Harry Potter geschaut.
 Petrus Stimmungsschwankungen und das somit resultierende Aprilwetter halten mich ein wenig länger von den ganzen Stages weg als geplant – doch bei Fünf Sterne Deluxe stehe ich dann wieder an der Blue Stage und schwinge meinen Arm. Ganz so wie ich es von der Hartz 4 Empfängern aus dem WON gelernt habe. Bastille, die sich gleich danach auf die Bühne schwingen, sind so einschläfernd dass ich mir das ganze schön saufen muss – ein verhängnisvoller Fehler.
Kann ich noch zwischen Marek Hemmann und Kraftklub schwankfrei hin und her hetzen und beide bejubeln, erlebe ich Moonbootica ganz so wie ich es von zuhause, aus der Rakete, kenne: im Delirium.
Schade dass ich es nicht mehr zu Lilly Allen geschafft habe.
Die Gute war nämlich, ähnlich wie ich, voll wie ein Waisenhaus in Kambodscha auf der Bühne gestanden.

SONNTAG, HURRICANE TAG 3

Ich bin positiv überrascht dass ich nicht in meiner Kotze aufwache.
Habe ich wahrscheinlich meiner langen Lebenserfahrung – oder aber meiner emotionalen Reife zu verdanken. Der Rest meines Körpers verflucht jedoch mein physisches Alter. Ich klettere wie Ozzy Osbourne aus meinem Zelt. Mein hilfesuchender Schrei nach „Shaaaaaron?!“ wird jedoch mit einem fragenden „Helgaaa?“ von den Assis nebenan quittiert.
Jetzt erst mal ein bisschen Wellness. Ganz Modemädchen gönne ich mir ein Full Body & Hair Festival Treatment mit Rosenblüten Bad (Ganzkörperwaschung mit den bebe Feuchttüchern für sensible Haut mit Rosenduft) eine Maniküre (Dreck unter den Fingernägeln mit einem gefaltenem Blatt Papier hervorholen) ein Haartreatment welches sogar Udo Walz platt macht (Trockenshampoo, mit Volumen) und eine Anti Aging Augenkur (Sonnenbrille auf die Nase)
Wie frisch aus der Vogue entsprungen mache ich mich also in aller herrgottsfrühe wieder auf zum Festival Gelände. London Grammar ist schließlich schon für 13:30 angesetzt und liefern mit ihren melancholischen Klängen genau die passende Kulisse für meinen Kater um mich ein wenig in Selbstmitleid zu baden. Außerplanmäßig verzichte ich darauf mich von Jennifer Weist ordinär und vulgär beschimpfen zu lassen und genieße lieber die Sonnenstrahlen vom Riesenrad aus. Den Nachmittag verbringe ich dann wieder vor der Blue Stage wo erst Passenger uns auffordert mit ihm die Festival üblichen Dixies zu „haten“ und sich anschließend mit seinen Coverversionen wie „Wake me up“ in die Herzen des schmusenden Publikums singt.
Und sich außerdem einen fetzen Sonnenbrand holt.
Hat ja keiner damit gerechnet dass wirklich die Sonne so runterhaut.
Damit bei soviel Schmusemuse nicht aus versehen und unbeabsichtigt Kinder gezeugt werden wird vor Ed Sheeran noch schnell Bonaparte eingeschoben. Ich versuche mich auch daran ein wenig zu „Anti Anti“ rumzuhopsen, meine Raucherlunge lässt mich jedoch gerade mal bis zum Refrain durchhalten. Es ist ja aber auch schon Tag 3. Da sind die Lebensgeister auch einfach nicht mehr so vital.
Ed Sheeran, der Hobbit (-songwriter) haut dann eine Ein-Mann-Show par excellence hin, von der sich so der ein oder andere Hochzeits- Alleinunterhalter eine Scheibe abschneiden kann.

Ich bin euphorisiert und auch schon wieder etwas vom Tetra- Rotwein betüddelt, und freue mich auf Fettes Brot. Mit Ellenbogeneinsatz und wüsten Beschimpfungen („Verpisst euch, im Gegensatz zu euch war ich schon auf der Welt als die Jungs ihr erstes Album rausgebracht haben – ich hab es sogar! Auf Kassette!!!!)
erkämpfe ich mir einen Platz vor der Bühne.
Zwar sehen Boris, Björn & Martin nicht ganz so verkleidet aus wie bei ihrem Auftritt in München – die Show ist trotzdem die gleiche wie bei ihrer Tour. Ein paar Special Effects werden zumindest abgeliefert : Teddybären zerstört, Bälle auf’s Publikum geschmissen. Für eine Zugabe hat’s dann aber nicht mehr gereicht. Noch vor Verstummen der letzten Töne stürmt das Publikum geschlossen zu Seeed.
Die haben zwar ein Orchester, aber nicht genügend Songs, für einen ganzen Auftritt, die massen tauglich sind – und mischen somit eben ein paar Peter Fox Hit’s in ihr Programm. Der Stimmung tut das keinen Abbruch – alle schütteln ihren Speck bis zum bitteren Ende.

MONTAG, HURRICANE TAG 4

Als ich aus meinem Zelt klettere um die Blase zu entleeren bin ich erschüttert. Die Dixieklo’s sind abgefackelt oder zumindest umgeworfen worden und lassen mich, wie Veronica Ferres in Bestleistung bei einem traumatischen ZDF Kriegsdrama, zu den festen Sanitäranlagen über das Schlachtfeld laufen.
Mir reicht’s jetzt. Ich bin nämlich, genau wie das Zeltlager, bis obenhin mit Scheiße voll.
Und ich seh auch so aus. Und deswegen Tschüß Hurricane – hallo Niveau!